In diesem Buch geht es um auffällige Veränderungen der westlichen Umgangsformen im 20. Jahrhundert: Die Menschen gehen lockerer miteinander um und sprechen entspannter über ihre Gefühle. Was Ende des vorigen Jahrhunderts noch verboten war, ist jetzt oft erlaubt. Dieses Buch beschreibt, wie in den aufeinanderfolgenden Generationen immer mehr Gefühls- und Verhaltensformen akzeptabel wurden, und faßt diese Veränderungen als einen Prozeß der Informalisierung auf. Viele Gefühle und Verhaltensweisen, die in früheren Jahrhunderten nach und nach durch eine immer straffere Zwangsjacke aus Vorschriften und Etikette blockiert worden waren, wurden im Laufe dieses Jahrhunderts aus ihren drückenden Fesseln erlöst. Die Frage, wie die Veränderungen in den Umgangsformen und der Gefühlsregulierung im 20. Jahrhundert dargestellt, interpretiert und erklärt werden können, ist im Grunde dieselbe, wie sie Norbert Elias in seinem "Über den Prozeß der Zivilisation" im Hinblick auf entsprechende Veränderungen in Westeuropa zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert gestellt hat. Die Erklärung für die tiefgreifenden Veränderungen im 20. Jahrhundert baut deshalb durchaus auf der Zivilisationstheorie von Norbert Elias auf, führt aber zugleich zu einer kritischen Erörterung dieser Theorie.
1. Einleitung.- 2. Überblick über die Zivilisationstheorie von Norbert Elias.- a. Die Frage, die Quellen und der Rahmen: Soziale und psychische Prozesse.- b. Zivilisationstheorie und Zivilisationsprozesse.- c. Zwei Einwände: Europazentrismus und Teleologie.- 3. Informalisierung und die Richtung des westlichen Zivilisationsprozesses.- a. Amsterdam und die Soziologie in den 1960er und 1970er Jahren.- b. Kriterien zur Bestimmung der Richtung von Zivilisationsprozessen.- 4. Die Informalisierungsthese.- a. Emanzipation und Informalisierung.- b. "Verringerung der Kontraste, Vergrößerung der Spielarten".- c. Zunehmender gesellschaftlicher Zwang zum Selbstzwang.- d. Zunehmende Identifikation der Menschen miteinander.- e. Ambivalenz und die Chancen zur Äußerung von Gefühlen.- f. Vorläufige Schlußfolgerungen: Die Informalisierungsthese.- g. Implikationen für die Zivilisationstheorie und die Reaktion von Elias.- 5. Informalisierung im Umgang zwischen den sozialen Klassen und Informalisierung bei der Trauer.- a. Untersuchung von Anstandsbüchern: Meidungsverhalten als soziale Beschmutzungsangst.- b. Informalisierung bei der Trauer.- c. Informalisierung als psychischer Prozeß: Zusammenfassung.- 6. Formalisierung und Informalisierung: Zwei Phasen von Zivilisationsprozessen.- a. Informalisierung als langfristiger sozialer Prozeß: Zwei Phasen in Spiralbewegung.- b. Gemeinsame und gegensätzliche Interessen: Grundvertrauen zu den Unternehmen und Grundvertrauen zum Staat.- c. Druck von unten versus Druck von oben: Abwärts versus aufwärts gerichtete Perspektive.- d. Nationalisierung und Regionalisierung: Das Beispiel des Sprachgebrauchs.- e. Neue Etikettebücher: Der Umgang zwischen den Geschlechtern.- f. Von der Obhut des Mannes zur Selbstbehauptung.- g. VomDistanzhalten zum Schutz der Privatsphäre.- h. Die neue Formalisierungsphase und die Richtung des Zivilisationsprozesses.- 7. Untersuchung der Veränderungen im Verhältnis der Geschlechter. Staat und Sexualmoral; ministerielle Stellungnahmen und Untersuchungsberichte.- a. Vom Kampf gegen "Sittenverwilderung" zum Kampf gegen "sexuelle Gewalt".- b. Der "Regierungsbericht zur Tanzfrage".- c. Die Berichte über sexuelle Gewalt und sexuelle Einschüchterungen.- d. Die Erotisierung des Alltagslebens.- e. Zunehmende Zwiespältigkeit und Ambivalenz.- 8. In Richtung auf eine Soziologie der Emotionsregulierung.- a. Hochschilds "Soziologie der Emotionen".- b. Informalisierung und die Soziologie der Emotionsregulierung.- 9. Wie fremd sind uns unsere Überlegenheitsgefühle?.- a. Drei Regimes in Veränderung.- b. Phasen der Zivilisierung von Emotionen.- c. Was ist mit den "gefährlichen" Gefühlen geschehen?.- d. "Fremde" und "Fremdheit" in den Phasen der Zivilisierung von Gefühlen.- e. Eine Ergänzung der Zivilisationstheorie.- f. Von der "zweiten" zur "dritten Natur".- g. Wie fremd sind diese Gefühle?.- 10. Informalisierung und soziale Stratifikation in weltweiter Perspektive.- a. Wächst die Kluft zwischen armen und reichen Ländern?.- b. Der Konkurrenz- und Verflechtungsmechanismus.- c. Konvergenz und Divergenz: Das Beispiel Mittel- und Osteuropa.- d. Politische Vertretung und politische Unabhängigkeit, ein Vergleich.- e. Der "Ausklang der anti-kolonialen Revolution".- f. Die Probleme des Bevölkerungswachstums, der Verschuldung und des westlichen Einflusses.- g. Schluß: Ein realistisches Ideal.