»Fangen Sie mit dem Lesen an einem Tag an, an dem Sie nichts anderes mehr vorhaben«, schrieb Michael Schweizer in der »Kommune«.
Was den Kriminalroman von Carlo Emilio Gadda so knatternd vorantreibt, ist nicht nur die berühmte Frage: Wer war's. Ebenso aufregend wie die Jagd selbst ist der verschlungene Weg zur Auflösung des Schlamassels. Zunächst scheint es nur um einen eher biederen Juwelendiebstahl bei der alten Signora Menegazzi zu gehen. Dann aber geschieht im Goldpalast der Via Merulana 219 ein schrecklicher Mord - in der Wohnung genau gegenüber. Diesmal trifft es die schöne und reiche Signora Liliana.
Hinter der Grimasse der Schläfrigkeit ist Kommissar Ingravallo höchst alarmiert: Das Kuddelmuddel muss auseinandergeklaubt werden. Gadda verschafft dem Leser die köstlichsten Divertimenti, nimmt ihn mit in großbürgerliche Wohnungen, in die umliegenden Straßen und Palazzi, ins Kloster und aufs Land. Zur feinen Gesellschaft ebenso wie zu Galgenvögeln, Schiebern, Hundsfotten und Spinatwachteln.
Ein reiches Gesellschaftsbild Roms zur Zeit Mussolinis, ein intellektuelles und sprachliches Feuerwerk - üppig, barock, ausschweifend.
Carlo Emilio Gadda (1893-1973) >>wurde in Mailand geboren, vierzehn Tage vor dem Fall der Regierung Giolitti, der ersten nämlich. Er durchlebte in Mailand eine gequälte Kindheit und eine noch schmerzlichere Jugend: er wurde aufgenommen in die Grundschulklassen der Stadt: die ausgezeichnet waren. Er fand in Mailand auch sein Gymnasium und seine Mathematika. Dann der Krieg: der Verlust des Bruders Enrico: gefallen im Jahr 1918. Er arbeitete in Italien und außerhalb Italiens: in Argentinien, in Frankreich, in Deutschland, in Belgien. Seine Schriftstellerlaufbahn stieß auf die klassischen wirtschaftlichen und umweltbedingten Hindernisse: eher jene der Epoche, oder der verschiedenen Epochen, die er zu durchqueren hatte. Er lebte zehn Jahre in Florenz: 1940-1950: die schönen Jahre, als sie wieder schön geworden waren. Er lebt in der Hauptstadt der Republik, vierzehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, in einem anständigen Mietshaus, nächtlicherweise gestärkt durch das Geheul der Wölfe und am Tag durch das Geplärr höchst zahlreicher Nachkommenschaft, nicht ihm zugehörig, dennoch liebenswert und gebenedeit. "Was treibst du den ganzen Tag?" fragen ihn die geschäftigen Leute: "Rührst du dich nie heraus?" "Nein ich rühre mich nicht." Carlo Emilio Gadda, Karteiblatt II
Toni Kienlechner, 1919 in Murnau geboren, war eine der engagiertesten Vermittlerinnen der italienischen Literatur und Landeskultur. Nach Tätigkeiten im Buchhandel und Verlagswesen sowie der Leitung einer Wochenzeitung in Bozen, arbeitete sie von 1955 bis 1982 als Korrespondentin des Bayerischen Rundfunks. 1961 erschien mit »Quer pasticciaccio brutto de Via Merulana« ihre erste Übersetzung. Für das Werk, das lange als unübersetzbar galt, wurde sie mit dem Helmut-M.-Braem-Preis ausgezeichnet. Sie übersetzte außerdem Pier Paolo Pasolini, Giorgio Manganelli und viele andere Autoren. 2010 starb Kienlechner in Berlin.