Die Vorlesungen, die Francisco de Vitoria (? 1546) 1535 über die ersten fünf Fragen des >Iustitia<-Traktats aus Thomas von Aquins >Summe der Theologie< hielt, sind Schlüsseldokumente für das Werk des bekannten spanischen Theologen. Behandelt werden die Gerechtigkeit als auf die Mitmenschen ausgerichtete Tugend, die Ungerechtigkeit als deren verwerfliches Gegenteil, das Recht als Grundlage moralischen Handelns, die Rechtsprechung als durch das Recht legitimierte öffentliche Einrichtung und die Erscheinungsformen der Gerechtigkeit als ausgleichende und austeilende Gerechtigkeit. Vitoria interpretiert hochscholastische Texte im Lichte von Fragen, die die Spätscholastik, der Humanismus und die Reformation aufgeworfen haben. Dabei entwickelt er, obwohl in der christlichen Metaphysik-Tradition verwurzelt, im Bereich der Systematik und Phänomenologie des Rechtes zukunftweisende Gedanken, etwa zu der überstaatlichen Ordnungsfunktion des Völkerrechts oder den subjektiven Rechten von Personen. Das macht den zusätzlichen Reiz dieser Texte aus: Sie sind Zeugnisse des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit und dabei nicht nur von historischem Interesse.