Herrschaft und Macht werden auch über Semantik ausgeübt. Diese erkenntnisleitende These der einzelnen Untersuchungen fokussiert die sprachliche Konstitution fachlicher Gegenstände. Ein derartiges Erkenntnisinteresse in Bezug auf gesellschaftlich relevante Wissensdomänen zielt auf mehr oder weniger subtile Formen des Dissenses. Ein Dissens wird aber oft in fachkommunikativ konventionalisierten Diskursen für Außenstehende nicht sichtbar ausgetragen, da er sich in Durchsetzungsversuchen spezifischer Begriffsvorstellungen oder bestimmter, vermeintlich synonymer Termini manifestieren kann.
Solche semantischen Kämpfe verlaufen oft heftig. Dabei ist von grundsätzlicher Bedeutung, dass sie den Forschungsgegenstand erst (mit)konstituieren. Sie sind somit notwendige Voraussetzung für das Verstehen wichtiger Forschungsfragen, denn hinter den Begriffen steht ja gemeinhin ein definiertes, methodisch durchorganisiertes Erkenntnisinteresse. Die Durchsetzung spezifischer Fachtermini in der Auseinandersetzung mit sozial-, geistes- und naturwissenschaftlichen Sachverhalten stellt so gesehen den Versuch dar, die Welt zentralperspektivisch als Systemraum von einem spezifischen Blickpunkt aus durchzustrukturieren. Wer es schafft, sich in diesem "semantischen Kampf" durchzusetzen, der prägt die gedankliche Perspektive auf die Sachverhalte entscheidend mit. Die Beiträge des Bandes untersuchen Formen und Funktionen solcher Fachdiskurse in verschiedenen Wissenschaften.
Ekkehard Felder, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.
Ekkehard Felder: Semantische Kämpfe in Wissensdomänen. Eine Einführung in Benennungs-, Bedeutungs- und Sachverhaltsfixierungs-Konkurrenzen; Albert Busch: Semantische Kämpfe in der Medizin. Ansätze zu einer Typologie der Wissenskämpfe; René Zimmer: Zwischen Heilungsversprechen und Embryonenschutz - Der semantische Kampf um das therapeutische Klonen; Silke Domasch: Zum sprachlichen Umgang mit Embryonen. Semantische Konkurrenzen innerhalb des biomedizinischen Diskurses zur Präimplantationsdiagnostik; Gabriele von Glasenapp: Von der »Endlösung der Judenfrage« zum Holocaust. Über den sprachlichen Umgang mit der deutschen Vergangenheit; Martin Wengeler: Mentalität, Diskurs und Kultur. Semantische Kämpfe in der deutschen Geschichtswissenschaft; Ingo H. Warnke: Die begriffliche Belagerung der Stadt - Semantische Kämpfe um urbane Lebensräume bei Robert Venturi und Alexander Mitscherlich; Berbeli Wanning: Der Naturbegriff in Literatur und Literaturwissenschaft; Wolf-Andreas Liebert: Naturwissenschaftlicher Fachdiskurs als Kontroverse; Stephan Habscheid: ,Selbstorganisation'. Zur gemeinsprachlichen Anatomie und ,laienlinguistischen' Deutung eines ,umkämpften' Begriffs; Markus Hundt: Das Ringen um den Geldbegriff. Begriffswandel und Metaphernkonstanz in historischen und zeitgenössischen Geldtheorien; Ralph Christensen / Michael Sokolowski: Recht als Einsatz im semantischen Kampf ; Maximilian Scherner: »Rede« - »Text« - »Diskurs«: Konkurrierende Begriffsbestimmungen in den Gründerjahren der Textlinguistik