Die europäischen Gesellschaften drohen auseinanderzufallen; so war es damals, als die Reformation das Althergebrachte aus den Angeln zu heben drohte, und so ist es heute angesichts starker Zuwanderung aus islamisch geprägtem Kulturkreis. Wie ein Gespenst wabert ein unsichtbares Phänomen auf der Weltbühne der Globalisierung: Identität. Dem neuen Tag kann es nicht Einhalt gebieten, wohl aber sein Heraufdämmern mit Fluch belegen. Es wird höchste Zeit, dem zwar Benannten, aber nicht Erkannten, im Tageslicht der Vernunft den verhüllenden Schleier zu entreißen.
Deshalb wagen wir uns in den Abgrund eines der spektakulärsten Inquisitionsprozesse der Reformation: Stadt Chur gegen Abt Theodul Schlegel. Bis heute ungeklärt führt er zur Geburtsstätte persönlicher Religionsfreiheit zu Beginn der Neuzeit im Land der Drei Bünde, dem heutigen Kanton Graubünden in der Schweiz; ein Dekret, erlassen als Resultat einer dramatischen Pluralisierung der Werte und einer damit einhergehenden Destabilisierung der Gesellschaft. Wie viel Politik steckte in Religion und wie viel Religion in Politik? Zeigen sich gar Erzählmuster der Identitätswahrung, denen wir in heutiger Zeit tendenziell wieder begegnen? Gibt es tatsächlich so etwas wie einen Stempel der Identitätswahrung, mit denen wir Menschen unser Innerstes schützen im Angesicht rapider Vernetzung mit dem Fremden?
Einer Geistergeschichte gleich, nicht naturwissenschaftlich mit den Sinnen fassbar, aber emotional fühlbar, wird Identität als Erzählung entlarvt, die einen tiefen Blick in die Bedingungen der Möglichkeit gesellschaftlichen Zusammenlebens weist. Die Autorin ist sich mehr denn je sicher: Das Wissen um unsere erzählte Identität wird gerade in Zeiten eines starken Globalisierungsschubes zum notwendigen ?ABC? für jedermann.
Noch nie wurde die Zeit der Reformation unter dem Aspekt der Identitätswahrung während einer Phase dramatischer kultureller Pluralisierung dargestellt. Einfühlsam und zuweilen geradezu romanhaft wird diese Lücke entlang neuester kulturwissenschaftlicher Erkenntnisse geschlossen und so dem Leser ein Handbuch überreicht, das ihm hilft, sich im kulturellen Dschungel nicht zu verlieren. Ein spannendes Buch, in dem Vergangenheit als Sinnkonstrukt der Gegenwart erzählt wird.
Elke Bader, die gebürtige Rheinländerin, wohnt und arbeitet im Markgräflerland am Südhang des Schwarzwaldes. Sie absolvierte an der staatlichen Universität das Studium der Kulturwissenschaften mit den Fachschwerpunkten Geschichte und Philosophie. Ihr historischer Debütroman ,Anna von Rötteln' schaffte es auf Anhieb in die Bestsellerliste des Basler Buchhandels. Ein zweiter, den sie ihren Lesern versprochen hatte, ,der Flammenthron des Röttlers', folgte. Doch je mehr Menschen und Geschehnisse der Vergangenheit durch ihre Feder ins Licht der Gegenwart traten, desto deutlicher erkannte sie die Gestaltbarkeit des Gestern aus dem Heute heraus, geprägt nicht zuletzt von politischen und wirtschaftlichen Interessen. Als Gründungsmitglied des grenzüberschreitenden Forums Politik, Geschichte, Kultur mit Sitz in Zürich hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, gesellschaftlich brisante Fragen mit dem Blick der freischaffenden Kulturwissenschaftlerin darzustellen, sei es als Roman oder wissenschaftliche Abhandlung. In ihrem neuen Werk durchschreitet Elke Bader die Gezeiten europäischer Geschichte auf der Suche nach einer Quelle, die Antwort geben kann auf die drängende Frage nach Identitätswahrung im globalisierten Europa des 21. Jahrhunderts.