Leider hatte sich Ingrid geirrt. Ihr Schwager hatte sich in letzter Zeit zwar zurückgehalten, aber sein Ziel, die schöne Schwägerin zu erobern, nie aus den Augen verloren. Laut lachend lief er mit unsicheren Schritten hinter ihr her. »Magst du mit mir spielen? Ich krieg dich doch!« und während er versuchte, sie an sich zu ziehen, schob er den Rollstuhl seiner Mutter zur Seite, der ihm im Weg stand. Die alte Frau hatte sich kerzengerade aufgerichtet. Ihr Gesicht war von einer unheimlich fahlen, leicht grünlich schimmernden Blässe, und ihre Augen loderten wie riesige schwarze Diamanten. Ihre schmale Hand umklammerte den Arm ihres Sohnes wie ein Schraubstock, und mit unheimlicher Gewalt zog sie ihn von Ingrid fort. Karl war völlig überrumpelt. Wütend gab er dem Rollstuhl einen Fußtritt und versuchte vergeblich, sich zu befreien. Es gelang ihm nicht. Mit einer Kraft, die er seiner kranken und schwächlichen Mutter niemals zugetraut hätte, zwang sie ihn an ihre Seite. »Ich habe dich gewarnt, Karl, du solltest Ingrid in Ruhe lassen und der Familie keine Schande machen. Die Stunde der Abrechnung ist gekommen!«
An jedem letzten Freitag im Oktober sahen die Bauern auf den Almwiesen, die den steilen Bergpfad zum Kaisergebirge säumten, mehrere ältere Bergsteigerinnen, die langsam, aber stetig und mit geübtem Schritt den Weg hochstiegen. Sie grüßten so wie in den Bergen üblich beim Vor-übergehen und verschwanden nach der Biegung des Wegs zum Ellmauer Tor hinter den Bäumen. Alle trugen Rucksäcke und sportliche Kleidung. Sie kamen nicht in einer Gruppe, sondern eine nach der anderen aus verschiedenen Richtungen, nahmen aber alle nach der Biegung den gleichen Weg zu einer kleinen Lichtung. Dort befand sich ein völlig zugewachsener Eingang, der geradewegs in den Berg zu führen schien. Der Eingang war von der Lichtung aus nicht zu sehen und mit einem Vorhang aus gegerbtem Hirschleder, der sich in der Mitte teilte, nach außen geschützt.