Eine uralte Tradition, die auf einem Gerüst fundierter Theorien aufbaut, in bewundernswürdiger Weise in 5900 Versen geschrieben und mit einem Garn von Metaphern und Gleichnissen feinstens verwoben ist, eine uralte Tradition, welche die Weisheit einer der ältesten und unberührtesten Kulturen der Welt darstellt, wird heute der Welt verkündet, damit sie von allen Erdenbürgern in Ehren gehalten und gewürdigt werde.
Die Tibetische Medizin ist eine Kunst, denn sie zeigt, wie man optimal sein Leben meistert. Sie ist auch eine Wissenschaft. Ihre Erkenntnisse können in Theorie und Praxis empirisch bewiesen werden. Die Tibetische Medizin kann auch als Philosophie bezeichnet werden, da sie eine tiefgründige Verbindung zur buddhistischen Lehre herstellt. Sie ist ein umfassendes Konzept und bietet Antworten auf viele psychologische Krisen und psychosomatische Krankheiten der heutigen Zeit; ihr System stellt eine integrierte Wissenschaft dar.
Diese facettenreiche Weisheit, die in einem Werk zusammengetragen wurde, wird rgyud bzhi genannt und ist der Grundlagentext der Tibetischen Medizin schlechthin. Die rgyud bzhi enthält vier Tantras, nämlich rtsa rgyud (Wurzeltantra), bshad rgyud (Tantra der Erklärungen), man ngag rgyud (Tantra der mündlichen Überlieferung) und phyi ma rgyud (letztes Tantra). Die ersten beiden Tantras bilden das Fundament, auf dem alle Prinzipien der Tibetischen Medizin aufbauen. Drittes und viertes Tantra geben detailliertere Einsichten über die Klassifikation von Krankheiten, die praktische Anwendung von Diagnosemethoden und die therapeutischen Aspekte der Tibetischen Medizin.
Diese Übersetzung des ersten Teils des Tantras der mündlichen Überlieferung macht deutlich, dass das Tibetische Volk auch andere Völker an seinem Wissen teilhaben lassen und der Gesundheit aller Menschen dienen möchte.
Dr. med. Florian Ploberger B. Ac., MA
TCM-Arzt, Tibetologe. Internationale universitäre und interdisziplinären Lehrtätigkeit und zahlreiche Publikationen. Präsident der ÖAGTCM. Von der Direktion des Men-Tsee-Khang (Institut für Tibetische Medizin und Astrologie in Dharamsala, Nordindien) mit der Übersetzung des bedeutendsten Werkes der Tibetischen Medizin (rgyud bzhi) beauftragt.
Direktor der Alliance of Research and Development of Traditional Medicine, Complementary Medicine and Integrative Medicine der Fudan University in Shanghai. 2018 wurde er zum Mitglied der Redaktion des International Journal of Chinese Medicine ernannt.