Der Bau von Moscheen, das Tragen von Kopftüchern in Schulen, das jüdische und muslimische Beschneidungsritual - in den Debatten, die erregt über diese Praktiken geführt werden, erscheinen "fremde" Kulturen und Religionen oft als bedrohend, ja skandalös. Dieser Haltung steht das politische Konzept des Multikulturalismus gegenüber, das für Schutz und Anerkennung kultureller Unterschiede durch Staat und Gesellschaft eintritt. In der politischen Theorie wie in der breiten Öffentlichkeit löst dieser Ansatz heute aber vielfach Unbehagen aus. Der Sozialwissenschaftler Volker M. Heins, der viele Jahre in Kanada, den USA, Israel und Indien gelebt hat, fragt nach den Ursachen dieses Unbehagens. In seinem gut lesbaren Überblick über die internationale Multikulturalismusdebatte zeichnet er die Fortschritte und Rückschläge bei der Auseinandersetzung nach, die in den letzten Jahrzehnten über kulturelle Vielfalt geführt wurde. Seine These lautet, dass der Streit um den Multikulturalismus - um religiöse Symbole, Sprachkompetenz von Migranten, Import internationaler Konflikte, Chancen auf dem Arbeitsmarkt - grundlegende Fragen von Identität, Differenz und Solidarität berührt, die weder im Nationalstaat noch im vereinten Europa gelöst worden sind.
Volker M. Heins ist Leiter des Forschungsbereichs "Interkultur" am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI). Er lehrt außerdem Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Bochum und ist Faculty Fellow am Center for Cultural Sociology der Yale University/USA.
Inhalt
Danksagung 7
Einleitung: »Multikulti« - zwanzig Jahre später 9
1 Vor dem Multikulturalismus 27
Montesquieus Perser 27
Joseph in Ägypten und andere Geschichten 33
Assimilation, Simulation und Identitätspanik 37
Kulturkämpfe im europäischen Nationalstaat 42
Das Management tiefer kultureller Differenzen 53
2 Theorie und Kritik 59
Warum der Multikulturalismus aus Kanada kommt 60
Authentizität statt Assimilation: Taylor 65
»Eine andere Welt ist wirklich«: Tully 79
Das Einfache, das leicht zu machen ist: Kymlicka 85
»Administrativer Artenschutz«: Habermas 94
Zwei Varianten der feministischen Kritik 108
Wie real sind Gruppen und Kulturen? 119
3 Politik und Erfahrung 127
Das Unbehagen in der Multikultur 128
Kommissionen, Komitees und Konferenzen 131
Kasuistik und »reasonable accommodation« 138
Knabenbeschneidung und Religionsfreiheit 148
Minderheiten, Volksverhetzung und Redefreiheit 154
4 Die Zukunft der »gemischten Multitude« 168
Kultur als Schranke und Ressource 170
Juden, Muslime, Homosexuelle 173
Die Rolle der Staatsangehörigkeit 177
Multikulturalismus oder Interkulturalität? 181
Anmerkungen 188
Literatur 192