Die Niederlande sind ein Fahrradland, Deutschland gilt eher als Land der Autobahnen. Wie es dazu kam, schildert Anne-Katrin Ebert in ihrer reichhaltigen Konsum- und Kulturgeschichte des Fahrrads. Mit dem Gebrauch des Fahrrads verband sich eine Fülle von Identitätskonstruktionen und sozialen Unterscheidungsmechanismen. Der menschliche Körper, das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, Bürgerlichkeit und Arbeiterschaft sowie deutsche und niederländische Identität - das alles wurde auf und mit dem Fahrrad "erfahren". Die Affinität zum "Drahtesel", so zeigt sich, ist mehr den sozialen und kulturellen Entwicklungen geschuldet als den geografischen Gegebenheiten.
Inhalt
Einleitung
I. Ein Sport für den selbstbewussten Mann und die "Neue Frau": Bürgerliches Radfahren gegen Ende des 19. Jahrhunderts
1. Das Fahrrad und die Konstituierung einer bürgerlichen Radsportkultur
1.1 Das Fahrrad, ein Spiel
1.2 Das Konsumregister des Radfahrens: Vom Luxus des Spiels
1.3 Der Sport als "korrekte Konsumtion" des Luxusguts Fahrrad
1.4 Die soziale Zusammensetzung der Radsportclubs: Eine Bestandsaufnahme
1.5 Fazit: Vom Luxus des Radsports
2. Radfahren und die Erfahrung des modernen Individuums
2.1 Das stählerne Ross und die Eisenbahn: Das Fahrrad im Kontext der Technik seiner Zeit
2.2 Zwischen Hochrad und Niederrad: Fahrradkonstruktionen als Mittler
2.3 Der Reiz der Kontrolle: Das Fahrrad, der Körper und die Nerven
2.4 Das Fahrrad und die Optimierung der menschlichen Körpermaschine
2.5 Fazit: Der selbstbewusste Radfahrer
3. Die "Neue Frau" auf dem Fahrrad
3.1 Rad fahrende Frauen in der Statistik: Der Versuch einer Bestandsaufnahme
3.2 Begleiterin des männlichen Individuums: Die Radfahrerin und die bürgerliche Geschlechterordnung
3.3 Tandem, Dreirad und Niederrad: Fahrradmodelle und Geschlechterrollen
3.4 Medizinische Bedenken? Die Radfahrerin im Visier der Ärzte
3.5 Der feine Unterschied: Ästhetik des weiblichen Radfahrens
3.6 Selbstständigkeit durch das Rad? Die "Neue Frau" und die Erfahrung des Radfahrens
II. Schneller als das Pferd, die Schönheit des Landes vor Augen: Radfahren für die Nation
1. Radsport und Nation: Verbände in Deutschland und den Niederlanden
1.1 Vorbild England: Niederländische und deutsche Radsportverbände
1.2 Transnational und national: Die Sprache des Radsports
1.3 Lost in Transfer? Die Unterscheidung in "amateurs" und "professionals"
1.4 Die Radsportverbände und die Etablierung des nationalen Anspruchs
1.5 Aufbau und Struktur der Verbände
1.6 Fazit: Nationale Interessen im internationalen Beziehungsgeflecht
2. Das Radfahren als nationale Bewegung: "Erfundene Traditionen" und Inszenierungen
2.1 "Erfundene Traditionen" des Radfahrens in den Niederlanden: Wanderer, Eisläufer, tugendhafte Bürger
2.2 "Erfundene Traditionen" des Radfahrens in Deutschland: Turner, Reiter, wehrhafte Männer
2.3 Nationale Inszenierung in Deutschland: Die Distanzfahrt Wien-Berlin 1893
2.4 Nationale Inszenierung in den Niederlanden: Der Blumenkorso 1898
2.5 Fazit: Von Blumen und Offizieren: Auf unterschiedlichen Wegen zur Nation
3. Radfahren für die Nation: Deutsche und niederländische Verbandsarbeit
3.1 Das schwierige Ornament: Radrennen in der niederländischen und deutschen Verbandsarbeit
3.2 Dem Turnen verpflichtet: Das Saalradfahren als deutsche Spezialität
3.3 Die Nation erfahren: Der Radtourismus in beiden Ländern
3.4 Ringen um die Nation: Die Radfahrverbände und die Einheit im Verkehr
3.5 Fazit: Nationsbildung per Rad: Möglichkeiten und Grenzen nationaler Verbandsarbeit
III. Solidarische Arbeiter, besonnene Bürger: Radfahren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
1. Vom Luxus zum Massenkonsum: Radfahren nach 1900
1.1 Statistische Daten zur Diffusion des Fahrrads in beiden Ländern
1.2 Die Entwicklung der Fahrradindustrien in beiden Ländern
1.3 Vom Sportgerät zum Verkehrsmittel
1.4 Zwischen Statusbewahrung und Demokratisierungsphantasien: Bürgerliches Radfahren nach der Jahrhundertwende
1.5 Krise oder Chance? Die bürgerlichen Radfahrerverbände im Wandel
1.6 Fazit: Distinktionsmuster im Wandel
2. Eigensinn im Massenkonsum: Die Arbeiter-Radfahrer
2.1 Die Anfänge des organisierten Arbeiter-Radfahrens
2.2 Agitation als wesentlicher Bestandteil des Selbstverständnisses der organisierten Arbeiter-Radfahrer
2.3 Der Arbeiter-Radsport und die "Sportfexerei" bürgerlicher Prägung
2.4 Radwandern: Solidarität und Gemeinschaft
2.5 Saalfahren in der "Solidarität"
2.6 Fazit: Der Drahtesel im Klassenkampf
3. "Das vaterländischste aller Verkehrsmittel": Radfahren und Nation
3.1 Bürgerliche Verbandsarbeit im Zeitalter des Massenkonsums
3.2 Der Erste Weltkrieg, das Fahrrad und die "besonnene Nation"
3.3 Auf eigenen Wegen zur Nation: Der Aufbau eines Radfahrwegenetzes
3.4 Von Wegen und Steuern: Das Radfahren im Visier des Staates
3.5 Fazit: Das Fahrrad und die nationale Identifikation
Schluss
Anhang
Literatur
Danksagung
Ortsregister
Personenregister
Sachregister
Anne-Katrin Ebert, Dr. phil., ist Leiterin des Bereichs Verkehr am Technischen Museum Wien.