Wie es der Mangel der Sozialwissenschaften ist, daB sie der psychologischen Seite gesellschaftlicher und politischer Prozesse keine Aufmerksamkeit schenk en, so ist es umgekehrt ein Mangel der Psychologie, daB sie dazu neigt, ihren Gegenstand von allen sozialen und geschichtlichen Bezugen zu isolieren. Das gilt so gar fur jenen Zweig der akademischen Psychologie, der sich unter der Bezeichnung Politische Psychologie in den USA schon seit langem groBes Ansehen erworben hat und sich in den letztenJahren auch in der Bundesrepublik starker hat etablieren konnen. Wo die Sozialwissenschaften die Gesellschaft auf ein auBeres Zwangsverhaltnis reduzie ren, da lost diese traditionelle Politische Psychologie die gesellschaftliche und poli tische Objektivitat in ein Verhaltnis zwischen Individuen auf. Sie entwickelt Parame ter fur Arbeitszufriedenheit und Resignation, fur Materialismus und Postmaterialis mus, fur Konventionalismus und Idealismus, ohne diese Bestimmungen auf objek tive Zwange, Versagungen und Anpassungsleistungen, die sie erst verstandlich ma chen wurden, zu beziehen. Ihr Ideal ist es, jeden Pendelschlag des menschlichen Ver haltens und Denkens zu quantifizieren und tabellarisch festzuhalten. So verwandelt sie die Gesellschaft in ein Konglomerat von abfragbaren subjektiven Meinungen und Werthaltungen und versteht unter Politischer Psychologie folgerichtig nichts ande res als eine wissenschaftliche Technik der Meinungsumfrage. Der kritischen Politis chen Psychologie, wie sie im vorliegenden Band prasentiert wird, liegt ein anderes Selbstverstandnis zugrunde.
I. Theorie und Geschichte der Politischen Psychologie.- Politische Psychologie in der Bundesrepublik: Positionen und methodische Probleme.- Wider die Politische Psychologie als Befragungswissenschaft. Kritischer Literaturbericht.- II. Politische Psychologie und Psychoanalyse.- "Die Stimme des Intellekts ist leise..." - Freuds Kulturtheorie als Politische Psychologie.- Die Geschichtlichkeit menschlicher Lebensentwürfe.- Der Arbeitsbegriff in der psychoanalytischen Sozialpsychologie.- III. Psychologie und kritische Gesellschaftstheorie.- Ideologie und Bewußtsein.- Das Herz der Institution oder strukturelle Unbewußtheit - Konturen einer Politischen Psychologie als Psychologie staatlich-kapitalistischer Herrschaft.- Betroffenheit als Kategorie der Politischen Psychologie.- IV. Politische Psychologie des Nationalsozialismus und seiner Verdrängung in der Bundesrepublik.- Zur Sozialpathologie des Volksgenossen.- Strukturen und Mechanismen einer deformierten Wahrnehmung. Der 8. Mai und das Projekt "Vergangenheitsbewältigung"..- Bürokratie und Verdrängung - Ein Gespräch über die Aufarbeitung der Vergangenheit in der Bundesrepublik.- Politische Psychologie des Antisemitismus Kritischer Literaturbericht.- V. Arbeit, Arbeitslosigkeit, Technik.- Die Macht der Verhältnisse und das Verantwortungsbewußtsein von Entwicklungsingenieuren.- Ausgrenzung und Interesse Zur politischen Psychologie der Massenarbeitslosigkeit.- VI. Internationale Beziehungen.- Zur politischen Psychologie der internationalen Beziehungen. Kritischer Literaturbericht.- VII. Intimität, soziales Leid und postmodernes Leben.- Intimisierung der Gesellschaft oder kollektive Infantilisierung? - Eine Auseinandersetzung mit Richard Sennett.- Zwischen Besitz und Gemeinschaft - Individualismusund Holismus im Sport.- "Armut ist geistige Krankheit" - Lebenshilfeliteratur in der Bundesrepublik Deutschland.- Vom Nutzen und Nachteil der Sexualität für das (postmoderne) Leben. Reflexionen über den "unhistorischen Augenblick" und sein mögliches zukünftiges Schicksal.- Reagans Amerika? Zur politischen Psychologie der USA.- VIII. Zivilisation und Subjektivität.- Veränderungen der Konstitutions- und Reproduktionsbedingungen von Subjektivität.- Über die Peripetien der Zivilisation. Eine Auseinandersetzung mit Norbert Elias.- Autorenverzeichnis.