Am 2. Juni um 2 Uhr morgens verschwindet die gesamte Menschheit, lautlos und ohne Spuren zu hinterlassen. Zurück bleiben die Sachen und die Tiere, die sich schon bald mit wachsender Furchtlosigkeit hervorwagen, um die Erde wieder in ihren Besitz zu nehmen. Übriggeblieben ist außerdem: ein einziger Mensch, ein Einzelgänger, der mit der Welt nicht zurechtkam und sich in ebendieser Nacht das Leben nehmen wollte. In einer paradoxen Umkehrung wird der verhinderte Selbstmörder nun zum einzigen Repräsentanten menschlichen Lebens, zur Menschheit schlechthin. Offen bleibt dabei die Frage, ob er, der einzig verschont Gebliebene, ein Auserwählter oder ein Verdammter ist.
Geschrieben kurz vor dem Freitod des Autors, ist Dissipatio ein visionäres Porträt unserer heutigen Zeit, ein philosophisches Vermächtnis und das Testament eines großen italienischen Solitärs.
Guido Morselli, geboren 1912 in Bologna, aufgewachsen in Mailand, war der Sohn eines wohlhabenden Unternehmers und promovierter Jurist. Er schrieb zahlreiche Romane und Essays, keiner davon wurde je von einem Verlag zur Publikation angenommen. 1973 nahm er sich, kurz nach der Niederschrift von Dissipatio, das Leben, ein Jahr später begann der renommierte Verlag Adelphi Morsellis Gesamtwerk zu publizieren.