Dieter Grimm ist einer der national wie international angesehensten deutschen Juristen. Von 1979 bis 1999 war er Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität Bielefeld, von 1987 bis 1999 Richter des Bundesverfassungsgerichts. Seit 2000 lehrt er Öffentliches Recht an der Humboldt-Universität zu Berlin, von 2002 bis 2017 unterrichtete er außerdem an der Yale Law School. Von 2001 bis 2007 war er Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin. Für sein Wirken wurde er vielfach ausgezeichnet. Bei C.H.Beck ist zuletzt von ihm erschienen: "Europa ja - aber welches? Zur Verfassung der europäischen Demokratie" (2016).
Vorwort
Vorbemerkung zur Auswahl der untersuchten historischen Literatur
I Verfassungsgeschichte und Allgemeine Geschichte
II Entstehung und Regelungsgehalt des Grundgesetzes
III Die Anfänge der Verfassungsgerichtsbarkeit
IV Verfassungswandel durch Grundgesetzänderungen
V Anlauf zur Totalrevision des Grundgesetzes
VI Die Verfassungsfrage im Prozess der Wiedervereinigung
VII Die Liberalisierung der Gesellschaft als Frage der Grundrechte
VIII Die Verfassungsprägung des Mediensystems
IX Die sozialliberalen Reformen auf dem Prüfstand
X Die Zähmung des Parteienstaats
XI Die Durchsetzung der Geschlechtergleichheit
XII Das Grundgesetz in der Risikogesellschaft
XIII Die Verfassung im Prozess des Zusammenwachsens von Ost und West
XIV Die Bundesrepublik als Mitgliedstaat der EU
XV Die unterschätzte Konstitutionalisierung der Politik
Anhang
Die Bedeutung des Rechts in der Gesellschaftsgeschichte
Auswahl verfassungsrechtlicher Literatur für die zeitgeschichtliche Forschung
Entscheidungsregister
Sachregister
DIE VERNACHLÄSSIGTE WIRKUNGSGESCHICHTE DES GRUNDGESETZES
Die Geschichte der Bundesrepublik ist maßgeblich vom Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägt worden. In den Darstellungen der Historiker kommt das jedoch nur unvollkommen zum Ausdruck. Dieter Grimm, selbst von 1987 bis 1999 Richter am Bundesverfassungsgericht, zeigt, wo es zum Verständnis der historischen Entwicklung hilfreich gewesen wäre, auf Verfassung und Verfassungsrechtsprechung ausführlicher einzugehen. Sein scharfsinniges Buch trägt damit zugleich zu einer Wirkungsgeschichte des Grundgesetzes bei, die bisher fehlt.
Die Bundesrepublik verdankt ihre insgesamt recht glücklich verlaufene Entwicklung zu einem Gutteil dem Grundgesetz. So konnte man es jedenfalls bei allen Jubiläen des Grundgesetzes immer wieder hören. Liest man die Gesamtdarstellungen der bundesrepublikanischen Geschichte, findet man dieses Urteil jedoch nicht bestätigt. Das Grundgesetz und seine Auslegung und Anwendung durch das Bundesverfassungsgericht spielen in den Werken der Historiker nur eine verhältnismäßig geringe Rolle. Dieter Grimm zeigt, wo es zur Erklärung und zum Verständnis der Ereignisse, Zustände und Entwicklungen, welche die Historiker schildern, hilfreich gewesen wäre, die Verfassung und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu berücksichtigen. Das Buch stößt damit in eine Leerstelle zwischen den Disziplinen: Die Rechtswissenschaft beschäftigt sich zwar mit den Wirkungen derVerfassung, beschränkt sich aber auf die Wirkungen im Rechtssystem, während die Geschichtswissenschaft vor der Anwendungsebene des Rechts haltmacht, wo sich jedoch erst entscheidet, ob und wie der normative Anspruch der Verfassung eingelöst wird.